Manchmal, wenn man ganz leise ist, kann man sie belauschen. Change Manager unter sich, die über den Change reden. “Wir sind mitten im Change, weißte.” – “Wir müssen den Change gestalten…” raunen sie mit ernsten Mienen. Und das ist nur der nervige Begriff, die bedeutungsschwangere Oberfläche. Viel trauriger ist: Es funktioniert auch offenbar nicht so recht mit den guten alten “Change Prozessen”. Der “Change-Fitness Studie 2016” (die übrigens auch viel von “im Change” schreibt) kann man entnehmen, dass nur 20% der 408 befragten Unternehmen ihre Veränderungsvorhaben als erfolgreich ansehen. Wie kommt das? Obwohl das Thema (so die Studie) immer weiter an Bedeutung gewinnt? Aus meiner Sicht liegt das vor allem an ein paar falschen Grundannahmen:
#1: “Man muss die Leute irgendwo abholen und irgendwohin mitnehmen.”
Huch, da kommt ja der Change-Bus. Wer entscheidet eigentlich, wen man wozu abholen muss? Hier werden Menschen unnötig infantilisiert: Ihnen wird unterstellt, dass sie allein nicht wissen, wohin. Dass sie sowieso nicht selbst auf die Idee kommen, sich irgendwie zu bewegen. Und wenn sie sich bewegen wollen, dann muss man sie an die Hand nehmen und leiten. Liegt hier nicht schon der Hase im Pfeffer? Es muss also jemanden mit einem Informationsvorsprung geben, der das Veränderungsprojekt steuert. Diesem wird dann – mal mehr, mal weniger – Argwohn entgegengebracht. Wie können die Betroffenen auch sicher sein, dass die Verantwortlichen jetzt plötzlich alle Informationen auf den Tisch packen? Eben.
#2: “Die meisten Menschen wollen keine Veränderung.”
Außer natürlich der Change Manager, krch-hrch-hrch! Stellen wir uns doch mal vor, die Betroffenen haben an sich überhaupt kein Problem mit Veränderung, sondern wären gern einfach etwas frühzeitiger eingebunden worden. Zum Beispiel, um mit ihren Ideen das abzuwenden, was nun – womöglich Jahre später – als Change Projekt um die Ecke kommt. Und jetzt stellen wir uns vor, diese Menschen sitzen nun da stehen nun an der Bushaltestelle. Und als der Bus – mit Verspätung, aber ohne Sitzplätze – endlich kommt, hält ihnen der Busfahrer eine Change Kurve unter die Nase und sagt in einem sehr verständnisvollen Ton “Sehen Sie, Sie sind gerade im Schock. Das ist ganz normal.” Schön, nicht? Ein aufschlussreiches Zitat aus der oben erwähnten Studie dazu:
“Aus Mitarbeiterperspektive wird weder die Notwendigkeit für Veränderungen rechtzeitig erkannt, noch wird der Veränderungsprozess schnell genug angestoßen.”
Reaktanz ist keine Charaktereigenschaft, sondern eine Folgeerscheinung – zum Beispiel von (empfundener) Freiheitsberaubung. Oft kann man beobachten, wie aufkeimender Widerstand in der Belegschaft als Veränderungsresistenz missinterpretiert wird.
#3: “Die Notwendigkeit der Veränderung kann nicht oft genug betont werden.”
Die Grundannahme, Menschen stünden Veränderungen grundsätzlich skeptisch gegenüber, hat noch einen weiteren Haken: Es lässt die Verantwortlichen übermäßig die Gründe betonen. “So lange, bis es allmählich keiner mehr hören kann, erst dann beginnen sie zu verstehen”, ist häufig die Devise. Was dabei allerdings schnell in den Hintergrund rutscht, ist eine Auseinandersetzung mit den Zielen der Veränderung. Und zwar sehr konkret: Wie soll es am Ende sein? Woran wollen wir merken, dass wir den Zustand X erreicht haben? Es kann Mitarbeiter sehr mürbe machen, wenn keine konkrete Vorstellung herrscht oder erarbeitet wird. Da hilft es dann auch nicht, wenn immer wieder jemand – frei nach Saint-Exupery – die “Sehnsucht nach dem Meer” wecken möchte.
#4: “Man muss die Betroffenen zu Beteiligten machen.”
Hmm, wir warten also erst, bis die Leute betroffen sind und dann beteiligen wir sie. Grundsätzlich kann man wohl sagen: “Verändern” macht mehr Spaß als “Verändert werden”. Wenn jemand bereits betroffen ist, welchen Gestaltungsspielraum hat er dann noch? Je später jemand beteiligt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser nun frisch Beteiligte in den Widerstand geht.
#5: “Ein guter Change Prozess braucht einen großen Knall und ordentlich Tam-Tam.”
Ein Claim muss her. Ganz viele Plakate. Eine Riesen-KickOff-Veranstaltung, und wir laden Lady Gaga ein. Die Botschaft: Sehet her! Wir meinen’s e-hernst! Echt jetzt! Guckt mal, wir haben ordentlich Kohle rausgehauen! Okay, ist jetzt vielleicht ein klitzekleines bisschen übertrieben – dennoch: In den meisten Unternehmen ist dieses Vorgehen nur allzu gut bekannt. Und das ist auch das Problem: Es nutzt sich ganz schnell ab. Schon beim zweiten Mal ist die Rede von irgendwelchen Sauen, die durch irgendwelche Dörfer sollen. Auch deshalb habe ich mich wirklich gefreut, in Wiesloch eine andere Perspektive auf dieses Thema kennenzulernen, die mich wirklich zum Umdenken gebracht hat: Die Unterscheidung zwischen “neuen Events” und der “Neu-Inszenierung vertrauter Events”. Ich glaube inzwischen, dass Veränderungsprozesse besser auf leisen Sohlen daher kommen sollten. Und vermutlich wird der größte Zauber gar nicht für die “Betroffenen” veranstaltet, sondern als Marketing-Maßnahme für die verantwortliche Abteilung: “Seht her, wie kreativ wir diese Veränderung managen!” Und ja, vor allem HR-Bereiche sind dafür anfällig, glaube ich.
#6: “Negative Stimmen sind gefährlich und daher zu vermeiden.”
*Fingerschnipp-in-die-Luft* “Äh, ich hab’ da mal ‘ne Fra-” — “Zackbumm, da sind schon die Q&A’s! Hamwa alles schon durchdacht! Hier steht alles!” Direkt daneben ergänzt der Nächste mit Prokura: “Ich will auch nochmal betonen, dass wir das sehr positiv sehen. Das ist auch eine CHANCE!”. Das milde Lächeln verrät bei genauerem Hinsehen: Fresse, jetzt!
Ich finde das nicht nur unhöflich, sondern auch jammerschade – liegt doch gerade im Behandeln der Einwände und Bedenken die eigentliche Chance! Also wenn man davon ausgeht, dass Unternehmen aus Erfahrungen gern lernen wollen.
In der zitierten Change-Fitness-Studie wird auf “Haltung und Handwerk” als elementare Hebel eines gelungenen Veränderungsvorhabens hingewiesen. Ich würde gern noch einen Schritt zurückstolpern:
Je mehr ich über das Thema nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss: Es ist die Change-Logik an sich, die – durch die hier beschriebenen Grundannahmen – die Probleme erst schafft. In einer Unternehmenskultur, die echte Transparenz lebt, ist so ein “Change” gar nicht erst nötig. Wo alle mitgestalten, muss auch keiner abgeholt werden. Utopie? Mitnichten! So gibt es zum Beispiel eine Menge soziokratische Unternehmen. (Ist auch gar nicht so neu.) Oder holokratische Unternehmen. Und auch im Sinne agiler Vorgehensweisen ist es klüger, in kleinen Schritten voranzugehen, statt Riesenprojekten, die mit Megafonen beginnen.
9. Februar 2017, 20:44
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Hätte von mir sein können
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=)
10. Februar 2017, 18:40
Gelesen, geschmunzelt, laut gelacht und zustimmend meinem Notebook-Bildschirm zugenickt!
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich einen thematisch recht ähnlich bissigen Artikel zum Thema Change Management geschrieben. Ich freue mich immer wieder über “Verwandschaft im Geiste” 😉
Besten Dank für einen unterhaltsamen Feierabend!
10. Februar 2017, 20:37
Das freut mich & jetzt bin ich neugierig! ?
11. Februar 2017, 13:17
Here you go 🙂
http://www.common-sense-blogging.de/ohne-meinen-change-manager-sag-ich-nix/
20. Februar 2017, 13:48
Wieder mal heftig geschmunzelt, danke für diesen Beitrag 🙂
12. Mai 2017, 12:32
Hm, danke für einen realistischen Einblick ins Thema Change Management! Das gelingt nicht jedem.
Manche Veränderungen sind auch von der Seite der Geschäftsleitung ungewollt, zum Beispiel, wenn es dem Unternehmen nicht so gut geht und der Betrieb verkauft und demzufolge mit einem größeren Konzern fusioniert werden muss. In diesem neuen Unternehmen müssen sich sowohl die Mitarbeiter als auch die Geschäftsleitung zurechtfinden. In solchen Situationen ist es sinnvoll, wenn der zuständige Betriebsrat noch vor den Veränderungen in die Verhandlungen einspringt (worauf er auch sein Recht hat): https://www.betriebsrat.de/umstrukturierung-betriebsaenderung . Die Arbeitnehmervertretung kann die kommenden Probleme besser schildern, und vor größeren Umständen warnen. Der Betriebsrat steht den Mitarbeitern näher und genießt das Vertrauen der Belegschaft.
12. Mai 2017, 20:35
Danke für diese Sichtweise!
30. August 2017, 22:27
Danke Dagmar,
ein herzerfrischend klare Schilderung. Dieses Change-Gedöns kennen die meisten, aber das so konstruktiv und humorvoll zu schildern ist eine Gabe.
Bei uns ist man zum Glück von dem Quatsch weg, man hat die Veränderung einfach an die Belegschaft “übergeben” – sozusagen Change-von-unten. Das erste mal in 20 Jahren habe ich den Eindruck dass wir endlich mal was Vernünftiges auf die Beine stellen (können und vielleicht sogar werden). Ist zwar immer noch schwer – aber irgendwie zielführender als alle vorhergehenden Change-Säue. In drei oder vier Jahren werden wir sehen, ob es geklappt hat.
Ciao
Michael
16. August 2018, 08:17
So wunderbar beschrieben und genau die Haltung, die mir sehr gut gefällt. Den Begriff Change MANAGEMENT habe ich genau deshalb aus meinen Beschreibungen entfernt. Menschen kann/soll man nicht managen – es sind keine Maschinen, Ressourcen oder Dinge. Menschen sind komplex, eigenständig und intelligent – wenn wir sie lassen und etwas gegen die Jahrzehntelange tayloristische Konditionierung tun. Ich nenne es “Leading Change” – eine gemeinsame Lernreise. Auch Humor und ein positiver Ansatz sind – wie hier – deutlich besser geeignet, als die oft verwendete Drohkultur. Vielen Dank für diesen wunderbaren Beitrag! Werde ihn gerne in meinen Netzwerken teilen!
16. August 2018, 14:03
Oh, danke! Fühle mich geehrt! ☺️
20. August 2018, 11:58
Meine Haltung ist: Ich weiß nicht, wie es “richtig” geht. Keiner weiß es in der heutigen Zeit. Ob holokratische oder soziokratische Unternehmen mehr Glück mit ihren Veränderungen haben, stelle ich unter großes Fragezeichen (googel mal “holacracy failure”). Daher mein inniger Wunsch: Egal, wie wir das “Ding” nennen, es geht um die Haltung dahinter, nicht um das Werkzeut und nicht um die Methode.
Der Begriff Lernreise von Harald Schirmer gefällt mir sehr, mit viel Humor und ohne Ansproch auf eine Endstation 😉
Beste Grüße, Nadja
20. August 2018, 13:03
Liebe Nadja, genau das wollte ich mit dem Text sagen: Es geht um die Haltung, nicht um irgendwelche Changemethoden. Soziokratie & Co haben aus meiner Sicht große Chancen, wenn sie nicht eingesetzt werden, um eine bereits anstehende Veränderung zu managen.
Schöne Grüße
Dagmar
21. August 2018, 09:52
Vielen Dank für diesen wundervoll anregenden Artikel. Wir Change Manager “wissen ja, wie es geht und was zu tun ist”. Alleine das ist schon eine kritische Haltung. Eine von oben und damit neigen einige von uns (mich eingeschlossen), die Menschen durch den Change zu managen. “Wir machen die Kurve flacher” und letztendlich holen viele Unternehmen/Manager uns Berater (intern/extern) deshalb auch, weil sie so glauben, ihren Change möglichst schnell durchzubekommen. Diese kritische Haltung lässt sich demnach auch bei den Führungskräften beobachten, die letztendlich wollen, dass “ihr” Change glatt über die Bühne geht und die Mitarbeiter da letztlich irgendwie aber bitte möglichst zügig durch müssen. Auch eine oben-unten-Haltung. Worauf ich hinaus will ist, es geht nicht nur um Transparenz sondern auch darum die (Eigen-) Verantwortung der Beteiligten von Anfang an zu stärken/fördern mit den üblichen geglaubten Risiken und Nebenwirkungen wie Macht- und Kontrollverlust. Eine Folge könnte sein, dass dann bestimmte Veränderungen in einem Unternehmen später, anders oder gar nicht stattfänden. Und das wäre sehr vernünftig!
21. August 2018, 10:08
Ja, das wäre doch erstrebenswert!
14. November 2018, 08:47
31. Mai 2022, 11:52