Der Fachkräftemangel, er treibt seltsame Blüten. Immer häufiger hört man Unternehmen vom “Bewerbermarkt” stöhnen. Klar, dass man sich da kräftig ins Zeug legt, um die rare Spezies zu umgarnen. Nach jahrelangen investigativen Recherchen ist es mir nun endlich gelungen, ein Bewerbungsgespräch aufzuzeichnen, das eindrucksvoll belegt, wie viel Mühe sich die Firmen heutzutage machen. Kein Einzelfall, tjaja. Aber lesen Sie selbst, ich habe alles ordentlich abgetippt (und natürlich einiges verfremdet):
Die Bewerberin Beworbene, Meike W., hat es sich auf dem heimischen Sofa bequem gemacht. Ihr Mann Paul und ihre jüngste Tochter sind bei ihr, ihre beste Freundin gerade auf dem Weg. Es klingelt an der Tür. Der CEO und der Personaler der möglichen neuen Wirkungsstätte sind da.
Meike W.: “Hi, schön dass Sie da sind, kommen Sie doch rein! Haben Sie gut hergefunden?”
CEO und Personaler durcheinander: “Ja, äh, hat super geklappt, samstags kommt man ja auch wirklich gut hierhin durch. Und eine landschaftlich sehr schöne Strecke ist das ja.”
Meike W.: “Das freut mich. Mir war wichtig, dass Sie einen authentischen Eindruck von meiner Wirkungsstätte bekommen. Was kann ich Ihnen denn zu trinken anbieten? Kaffee, Tee, was Kaltes?”
(…)
Meike W.: “Wie Sie sehen, habe ich meinen Mann und meine Tochter direkt mal zum Gespräch mitgebracht. Und Andrea, meine beste Freundin – ah, da ist sie auch schon! Wir würden gern zunächst abwechselnd ein paar Fragen an Sie richten und einfach locker mit Ihnen ins Gespräch kommen. Selbstverständlich haben Sie anschließend auch noch Raum für Ihre Fragen. Okay so?”
CEO und Personaler: “Jajaja, klar!”
Meike W.: “Erst einmal vielen Dank für Ihre ausführliche Unternehmenshistorie, wir haben Sie uns natürlich kurz angeschaut. Aber ich höre das immer gern nochmal von Ihnen selbst (richtet Ihren Blick auf den CEO): Könnten Sie Ihre Unternehmensentwicklung von der Gründung bis heute bitte einmal kurz schildern? Nur die wichtigsten Stationen, versteht sich.”
CEO, etwas fahrig: “Aber klar! 1982 die Gründung von meinem Vorvorvorvorvorvorgänger in einem kleinen Hinterhof in *****. (…) Dann die schwere Entscheidung, die ****-Sparte abzustoßen. 1992 die Expansion nach Asien, und in diesem Jahr auch erstmals die 75 Mio EBIT. (…) 2001 die Beinahe-Insolvenz. (…) Und unter meiner Führung dann die Zukäufe von **** und ****, die uns wieder auf einen guten Weg gebracht haben.”
Andrea, mit dem iPad in der Hand: “Da möchte ich gern einmal einhaken. Die Auseinandersetzung mit Greenpeace 1999, haben Sie die jetzt bewusst nicht erwähnt?”
CEO, sichtlich nervös: “Nun, es gab da sehr unterschiedliche Darstellungen und wir sind eigentlich froh, dass wir diesen Dissenz zur Zufriedenheit aller Beteiligten (…)”.
Personaler: “Was uns ja auch dann veranlasst hat, den Code of conduct einzuführen und extra den Bereich Corporate Social Responsibilty neu zu schaffen. Ich habe Ihnen hier auch mal unsere Broschüre mit den Unternehmenswerten mitgebracht (kramt ein Büchlein aus seiner Tasche hervor). Das ist zwar Blattgold hier vorn, aber auf Recyclingpapier.”
Paul: “Das bringt mich auf eine Frage an Sie als Personaler. Angenommen, eine wirklich erfolgreiche Führungskraft mit Spitzen-Ergebnissen tritt die Unternehmenswerte mit Füßen. Wie reagieren Sie und Ihr Team darauf?”
Personaler: “Also, da muss ich ganz ehrlich sagen, so etwas ist bei uns noch nicht vorgekommen. Wir haben die Unternehmenswerte aber auch mit allen Führungskräften wirklich gründlich erarbeitet, also da haben wir die besten Beratungsfirmen ins Haus geholt und haben insgesamt ****** investiert und trainieren das auch immer wieder (…)”.
Andrea, wild mit dem iPad fuchtelnd: “Na sowas, wenn man hier mal auf kununu guckt – hier schreiben sehr viele, im Einkauf sei es ganz mies!”
Meike: “Was mich zu meinem Quercheck bringt: Xing und LinkedIn zeigen, dass die durchschnittliche Firmenzugehörigkeit mit 2,3 Jahren nicht hoch ist. Im Einkauf allerdings wechseln die Mitarbeiter noch häufiger! Wie erklären Sie sich das?”
Personaler und CEO werfen sich Blicke zu, der CEO deutet eine bremsende Armbewegung an.
CEO: “Nun, das gibt nicht ganz das korrekte Bild wieder. Einige Kollegen aus diesem Bereich sind zum Beispiel bewusst nicht in sozialen Netzwerken zu finden..” – “.. gerade die ältere Generation, die länger dabei ist!” ergänzt der Personaler.
(…)
Meikes Telefon klingelt, es ist die Grundschule. “Sorry, ich muss kurz weg, hat mich wirklich gefreut, Sie kennenzulernen, wir hören uns, ja?”. Sie gibt den beiden Besuchern schnell und fest die Hand. “Mein Mann übernimmt das Gespräch für mich, er kann Ihnen auch alle Fragen beantworten!” Dann rauscht sie hinaus. Der CEO und der Personaler versuchen die Contenance zu wahren.
Paul: “Dann lassen Sie uns doch jetzt mal über das Gehalt sprechen. Was stellen Sie sich denn vor?”
CEO: “Äh, also.. wir dachten so alles in allem an 200.000,- Jahresgehalt.”
Personaler: “… bei 14 Monatsgehältern.”
Paul, mit nichtssagender Miene: “Mhm aha. Das ist der fixe Anteil, denke ich?” Er notiert sich das still.
CEO, ganz vorsichtig nach vorn gebeugt und fast flüsternd: “Passt das denn… zu Ihren.. Vorstellungen?”
Paul: “Das werden wir sehen. Das ist immer auch eine Frage des Gesamtpaketes. Das schauen Meike und ich uns in Ruhe an.” Er setzt ein joviales Lächeln auf. “Aber ich bin sicher, wenn alles stimmt, dann werden wir uns auch einig.”
Der CEO und der Personaler nicken eifrig.
Andrea: “A propos Gesamtpaket. Was haben Sie denn sonst so bieten, damit Meike sich bei Ihnen wohlfühlt? Ich meine, im Vergleich zu anderen Unternehmen.”
Personaler, wie aus der Pistole geschossen: “Jährlicher Gesundheits-Check! Hausaufgabenhilfe für die Kinder! Professionelle Zahnreinigung bei Ihnen im HomeOffice! Dienst-Fahrrad! Wäsche-Service! Babysitter-Agentur! TÜV Komplettservice! Einkommenssteuererklärung! Alle Reparaturen bei Ihnen zu Hause mittels Service-Flatrate abgesichert! 45 Tage Urlaub! Lebensarbeitszeitkonto! Sabbatical alle zwei Jahre voll bezahlt für 6 Monate! Urlaubsplanungs-Service! Und natürlich werden alle Behördengänge für Sie von uns übernommen!”
Paul, ohne von seinen Notizen aufzuschauen: “Hmm. Wäscheservice wie oft pro Woche?”
Naaa? Selber schon ähnliches erlebt? Als Bewerber, Ehemann/-frau oder Personaler? Ich freue mich über Kommentare!
24. Juli 2017, 22:00
Hallo Dagmar,
Respekt, das ist ein sehr amüsanter und treffender Artikel. I like 🙂
Herzlichen Gruß,
Henrik
25. Juli 2017, 08:15
Hi Henrik,
das freut mich, danke!
Schöne Grüße
Dagmar
25. Juli 2017, 12:13
Hallo Dagmar,
sehr schön den Spieß umgedreht, gefällt mir.
Auf weitere authentische Einblicke aus dem Alltag.
Viele Grüße
Stefan
25. Juli 2017, 13:17
Hi Stefan, danke! Viele Grüße, Dagmar
25. Juli 2017, 14:26
Hallo liebe Dagmar,
you made my day :-). Toller Artikel, ich habe herzlichst gelacht (wobei das schon fast wieder traurig ist ;-)).
Viele Grüße
Diana
25. Juli 2017, 14:45
Hi Diana,
lieben Dank!
Viele Grüße
Dagmar
25. Juli 2017, 23:38
Ach verd***t. Sind wir denn so leicht zu durchschauen?
26. Juli 2017, 08:32
Wer ist durchschaut?
2. August 2017, 12:50
Ein wenig ist es aber auch so – das richtet sich auch nach der Kultur und geographischen Lage des Unternehmens- bei uns ( Amerikanisch und in Erbeuerbaren Energien) werden höhe Ansprüche gestellt – erwartet werden gerne mindestens 50 % home office Anteil – Tendenz steigend und oft auch nachträglich gewährt. Und Thema Gesundheit und Kinderbetreuung ist oft bereits Teil des Paketes- je nach Größe des Standortes. Ich denke mit der Erwartung von sagen wir mal “mobilen Arbeitsplätzen ” und sehr flexiblen Arbeitszeitmodellen muss man als Personaler mittler Weile rechnen .
2. August 2017, 15:35
Hi Claudia,
danke für diesen Einblick! Da sieht man mal, dass längst nicht mehr alles Utopie ist, je nach Branche und wie du sagst auch Lage etc.
Schöne Grüße
Dagmar
7. August 2017, 08:39
Hallo Frau Dörner,
selbst noch nicht so erlebt, aber so sollte es ja eigentlich sein heutzutage 🙂
Aber man kann ja auch als Job-“Besitzer” mal den Chef ins HomeOffice einladen, damit er sich ein Bild machen kann und bei der nächsten Gelegenheit mit der kostbaren HO-Zeit vielleicht nicht ganz so knauserig umgeht…
Liebe Grüße,
Anne Dreyer
7. August 2017, 09:17
Hi Frau Dreyer, gute Idee! Liebe Grüße, Dagmar Dörner
7. August 2017, 16:38
27. August 2017, 20:20
Genial! 😀
30. August 2017, 20:53
Hallo Dagmar,
ich bin froh Deinen Blog entdeckt zu haben. Du zeigst hier die humorvolle Seite des “war for talents”. Der Begriff ist übrigens 1998 entstanden – eine clevere HR muss also nicht überrascht tun. Auf jeden Fall zeigt Deine Überzeichnung wohin uns der ganze Trallala geführt hat. Egal von welcher Seite man es betrachtet, es ist immer ein Krampf (gewesen).
Wir versuchen mit M3.0 Elementen (z.B. Moving Motivators) mal neue Wege und ich hoffe, dass uns das wieder zum Kern der Sache bringt.
Ciao
Michael
30. August 2017, 21:04
Hi Michael, danke! (googelt schnell M3.0)
25. September 2017, 09:17
Liebe Dagmar
So schön dieser Artikel. Da spricht doch jemand aus dem Leben.
Gerne würde ich den Spiess mal umdrehen.
Ich versuche es schon zaghaft.
Letztens fragte ich den Bewerber: “Was müssen wir tun, damit Sie sich für uns entscheiden”
Er fands cool….aber der Vorgesetzte war nicht gerade erfreut.
Es braucht halt noch eine Weile, bis die Denkensweise auch in KMUs angekommen ist und gerade die, die kämpfen ja um ihre Fachkräfte und jammern, dass sie nicht mit den Grosskonzernen konkurrieren können.
Ich freue mich über jeden weiteren Artikel und grüsse herzlich, Diana Roth
25. September 2017, 11:21
Danke! ☺️
20. Juni 2018, 15:33
Genial geschrieben… früher war es (traurigerweise) genau umgekehrt…
26. August 2018, 19:34
Klasse geschrieben!!!