Vor ein paar Wochen habe ich ich drüben bei flowwork.rocks (Unbedingte Leseempfehlung für alle, die praktisch verstehen wollen, was dieses “New Work” eigentlich ist!) einen Gastartikel geschrieben. Heute veröffentliche ich ihn auch hier.
Bevor ich bei meinem letzten Arbeitgeber mit OKRs zu arbeiten begann, musste ich erst einmal Erfahrungen mit einer zähen MbO-Struktur machen: In einem ausgeklügelten Prozess wurden Jahresziele vereinbart, die leider meist nach einigen Wochen obsolet waren. (In meiner Erinnerung dauerte ein Zielvereinbarungsgespräch 13 Stunden und die Ergebnisse mussten mit blauer Tinte in ein Formular aus Büttenpapier eingetragen werden, das anschließend 8-fach gelocht und dann vom Vorgesetzten in den Keller gebracht wurde.)
Also begann ich mich mit OKRs zu befassen – und diese schienen die Lösung zu sein: Kürzere Zyklen! Transparenz in alle Richtungen! Und Ziele, die auf gemeinsam erbrachten Nutzen statt tayloristischer Arbeitsteilung abzielen! Juhu! (In meiner Phantasie würden sich von da an ständig Menschen auf dem Flur in die Arme fallen, weil sie endlich verstanden haben, woran der Andere arbeitet und warum.)
Nachdem MbO nicht nur bei mir unbeliebt war, fiel es mir nicht schwer, ein paar Freiwillige unter den Führungskräften zu finden, um das Ganze mal auszuprobieren. Das haben wir dann in mehreren 3-Monats-Intervallen über insgesamt 2 Jahre getan – und dabei einiges gelernt. Für alle, die wie wir ohne externe Prozessbegleitung und stattdessen auf eigene Faust mit OKRs experimentieren möchten, habe ich ein paar meiner wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst.
1. Verlasst euch nicht auf google!
re:work stellt ja einiges an Informationen bereit, aber manches ist dann doch arg verkürzt und gibt vor allem keine Antworten für erste auftretende Probleme. Ein Beispiel dafür sind die kursierenden Football-Videos. Wer sich mit OKR befasst, wird schnell merken, dass ein einfaches „Vererben“ von Zielen nicht ausreicht.
Schauen wir uns an, wofür OKR steht: Ein Objective plus (in der Regel mehrere) Key Results. Das Objektive ist nicht messbar, sondern sozusagen eine kleine Vision, die man aus Kundensicht aufstellt. Erst die Key Results zeigen auf, woran man denn messbar erkennen möchte, ob man auf dem Weg zur Erreichung des Objectives Fortschritte macht.
Und Obacht, jetzt kommt’s: Die Key Results führen dabei nicht automatisch dazu, dass das Objective erreicht wird, im Sinne von 1+1+1=3. Sind alle Key Results erreicht, muss trotzdem gecheckt werden, ob das Getane jetzt das Richtige im Sinne des Ziels war. Und auch die einzelnen Aktivitäten, die wiederum an einem Key Result hängen, führen nicht automatisch zu dessen Erreichung.
Nehmen wir mal ein Beispiel:
Du siehst, es handelt sich um messbare, nicht easy-peasy zu erreichende Resultate, für die man häufig sogar mit anderen zusammenarbeiten muss. In keinem Fall sind es einfache Meilensteine, die – einmal abgearbeitet – automatisch zum Ziel führen. Da die Football-Videos im Netz das aber häufig vermitteln, mach gerne mal den Versuch, die dort gesteckten Ziele herunterzubrechen: Es wird nicht funktionieren. Aus einem Key Result wird eben nicht automatisch das visionäre Objective der nächsten Ebene, sondern höchstens Freiraum und Ideen raubendes Micromanagement. Wenn ihr ambitionierte und gleichzeitig motivierende Ziele für die Teams haben wollt, probiert am besten aus zwei Richtungen aus: Aufwärts, also vom einzelnen Team ausgehend bis hoch auf Unternehmensebene – und dasselbe abwärts. So merkt ihr am ehesten, wo es in der Übersetzung „hakelt“.
2. Macht keine Abstriche bei der Qualität eurer Key Results!
Schlechte Key Results sind der Beginn einer Reihe neuer Probleme. Im eben erwähnten Beispiel habe ich noch nicht die Aktivitäten erwähnt. Beim Key Result „In einer Befragung mit mindestens 100 Kunden haben wir die 3 wichtigsten Bedürfnisse ermittelt.“ liegt beispielsweise als Aktivität „Befragung durchführen“ auf der Hand. Häufig wird eine solche Aufgabe (die durchaus komplex und aufwändig sein kann!) mit einem Key Result verwechselt. Da steht dann plötzlich als Key Result „1 Befragung durchführen“, damit es messbar ist. Damit ist es aber immer noch „nur“ eine Aufgabe.
OKR stellt aber das Resultat einer Aufgabe in den Fokus – ein großer Unterschied. Denn nur so ist die crossfunktionale Zusammenarbeit wirklich notwendig, und mit ihr auch die Transparenz über Ziele und Fortschritte. Das ist der Unterschied zwischen „Output“ (Was wurde abgeliefert.) und „Outcome“ (Was wurde durch das, was abgeliefert wurde, erreicht?).
Silo-Aufgaben erledigen kann dagegen jeder, dafür braucht es kein OKR. Da reicht ein klassischer Manager, der Aufgaben zerlegt und die Teilaufgaben an Mitarbeiter A, B, C und D verteilt.
Der häufigste Fehler bei unseren Key Results war anfangs der, dass es eigentlich Aufgaben waren, bloßer Output. Damit war übergreifende Zusammenarbeit gar nicht notwendig, um die eigenen Ziele zu erreichen. Und damit wiederum war es für diejenigen, die so arbeiten, auch persönlich unwichtig, ob Dritte ihre Ziele nachvollziehen konnten: Es fanden sich dann Querverweise auf andere Dashboards oder beispielsweise Abkürzungen, die außerhalb des eigenen Bereichs nicht mehr jeder verstand.
Das ist es, was ich mit der oben beschriebenen Kettenreaktion meine: Der eigentliche Vorteil, den OKRs bringen, stellt sich auf diese Weise nicht ein – und daraus ergibt sich wiederum, dass die Leute keine Lust haben, sich mit „sauberen Key Results“ zu beschäftigen. Nehmt euch also besser beim ersten Mal etwas mehr Zeit oder entwickelt die ersten Key Results gleich gemeinsam in einem Workshop – später hat niemand mehr Lust auf solche Diskussionen.
3. Sorgt für einen möglichst strukturierten Übergang vom einen Quartal ins nächste.
Man kann sich OKR vorstellen wie einen gemeinsamen Herzschlag fürs Unternehmen: Damit man als ganzer Organismus plötzlich die Richtung ändern kann (Zum Beispiel weil eure Kunden brauchen.), hilft es ungemein, wenn alle OKRs – von der Unternehmensebene bis zur Team- bzw. Mitarbeiterebene – im selben Takt agieren. Der Übergang vom einen ins nächste Quartal ist dabei die entscheidende Stolperfalle: Um das zu Ende gehende Quartal gemeinsam zu reflektieren, braucht es Zeit. Und gleichzeitig kommt es manchmal vor, dass bestimmte Daten wirklich erst nach Abschluss des Quartals zur Verfügung stehen. Wir reden also von einem Zeitraum von circa 2 Wochen vor Ende des aktuellen Quartals bis zu circa 2 Wochen nach Anbruch des neuen Quartals.
Manche Berater empfehlen hier eine sehr klare, aber auch nicht unaufwändige Meetingkaskade: Ein All hands meeting! Ein Thank-God-it’s-Friday-Meeting! Check-In und Check-Out! Review und Retro!
Ich habe, noch etwas verschreckt von der MbO-Erfahrung, den umgekehrten Weg eingeschlagen und es den Teams überlassen, das für sich zu gestalten. Das würde ich heute nicht mehr so machen, sondern einen Mittelweg wählen. Ich würde nur zwei feste Meetings empfehlen: Eine Retrospektive zum alten Quartal und ein Planning-Format fürs neue Quartal. Alles andere solltet ihr besser in bestehende Meetings integrieren – denn wenn der administrative Aufwand nicht weniger, sondern mehr wird, ist das der Akzeptanz von OKR nicht zuträglich. Dann sollte lieber an anderer Stelle etwas weggelassen werden. Insofern ist steigender Aufwand, auch gefühlt, immer ein Warnzeichen, dass OKR als Parallelwelt läuft. Was mich zum nächsten Punkt bringt.
4. Seht zu, dass ihr OKR nicht als Parallel-Universum betreibt.
Dass man OKR mit der Unternehmensvision und –strategie verbinden sollte, würde sicher jede*r unterschreiben. Mindestens genauso wichtig finde ich, dass das nicht nur auf dem Papier passieren darf: Oft sind bei genauerem Hinsehen strategische Initiativen bereits gesetzt – zum Beispiel auf Basis von Marktanalysen und Business Cases. Und manchmal fehlt dazu sogar ein klares Objective und auch noch ein (Unternehmens-)Key Result. Es ist also schon sehr klar, was getan werden soll und welcher Output erwartet wird – „nur“ das „Warum“ fehlt. In der Folge bedeutet das: Ideen, Vorschläge und Entscheidungen, die eigentlich aus den Teams kommen sollten, sind schon vordeterminiert. Das führt das ganze System ad absurdum.
Ob das bei euch so ist, könnt ihr gut testen, indem ihr bei jeder strategischen Initiative das „Warum“ beziehungsweise das „Wozu“ hinterfragt. Wenn da außer „Marktanteil von X“ oder „Mehrumsatz von Y“ nicht viel Sinnstiftendes dabei ist, sollte hier noch einmal nachgearbeitet werden. Die OKR Struktur kann fehlenden Sinn, fehlende Identifikation niemals ersetzen.
5. Andere Instrumente der Unternehmenssteuerung sollten auf OKR ausgerichtet sein.
Das ist aus meiner Sicht der schwierigste Punkt. Gerade traditionelle Unternehmen haben sich meist an eine Vielzahl von Managementpraktiken gewöhnt: Da werden Budgets fürs ganze Jahr geplant, klassische Outputs mit Tantiemen belohnt, das Multiprojektmanagement controllt auch noch mal jedes Projekt nach eigenen Parametern und jede weitere Support-Funktion gibt sogenannte Korridorziele heraus, um die Einhaltung der selbstgesetzten Standards zu kontrollieren. In so einem Korsett werdet ihr den Nutzen von OKR vermutlich niemals entfalten können. Wieso sollte sich jemand freiwillig „Stretch-Goals“ setzen, die nur gemeinsam mit anderen und nur zu 70% erreichbar sind – wenn parallel so viele fremde Ziele erfüllt werden müssen? Wie soll man iterativ mit Zielen arbeiten, wenn man die Jahresplanung schon vorher abgeben musste? Wie kann man gerade bei neu zu entwickelnden Themen frei und ergebnisoffen ans Experimentieren geben, wenn parallel jemand schon einen Business Case einfordert, damit man überhaupt die nötigen Ressourcen fürs Anfangen aufwenden darf? Du siehst, hier geht es schnell ans Eingemachte: Die Führungs- und Managementkultur des Unternehmens. Um die zu beeinflussen, könnt ihr dort ansetzen, wo der größte Schmerz herkommt – und beispielsweise ein paar wichtige Spielregeln ändern. Im Feld Planung & Controlling kann das zum Beispiel das Experimentieren mit rollierenden Forecasts sein oder z.B. der „Beyond Budgeting“ Ansatz. Dabei kann es dann auch helfen, wenn ihr euch eine externe Beratung ins Haus holt oder gezielt nach Unternehmen aus eurer Branche Ausschau haltet, die bereits mit anderen Ansätzen arbeiten.
17. September 2021, 10:26
Hallo Dagmar,
du hast Recht, dass die Qualität der Key Results entscheidend für den Erfolg der OKR ist. Viele Anfänger haben da Probleme.
Ich würde gerne noch ein paar Tipps hinzufügen:
– Führt OKR nicht gleich in allen Abteilungen ein. Startet eine Pilotenphase auf einer Unternehmensebene.
– Sucht euch zur Not jemanden, der viel Erfahrung mit der Einführung von OKR hat. Das erspart euch viele Fehler.
– Fokussiert euch auf eine gute Formulierung der OKR. Nur wenn die Objectives und Key Results verständlich verfasst sind, ist es möglich, dass alle Mitglieder an einem Strang ziehen.
Um mehr über die Formulierung von OKR zu erfahren, eignet sich auch eine Recherche oder die Erfahrung eines Coaches gut.
Was denkst du? Reicht ein OKR Champion aus dem eigenen Unternehmen oder sollte man sich noch externe Hilfe suchen?
Gruß,
Tizian
31. Mai 2022, 12:19
15. September 2022, 11:01
20. Oktober 2022, 19:33